Es ist mittlerweile fast wie ein kleines Ritual am Ende jeden Jahres: Wenn die FMA ihre Prüfungsschwerpunkte für das folgende Jahr veröffentlicht, weiß man, dass Weihnachten vor der Tür steht. Und so veröffentlichte die FMA pünktlich am 22.12.2020 ihr Dokument "Fakten, Trends und Strategien 2021".
Wie in den vergangenen Jahren konnte man sich sicher sein, auch dieses Jahr das Thema Digitalisierung mit allen dazugehörigen Schlagwörtern von RegTech bis Krypto im Mittelpunkt zu finden. Relativ neu ist hingegen, dass sich ein eigenes Kapitel dem Thema Nachhaltigkeit widmet. Es lohnt sich also, genauer hinzusehen.
Für die FMA ist Nachhaltigkeit kein unerforschtes Gebiet. Erst vor wenigen Monaten veröffentlichte sie einen eigenen Leitfaden zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken. Der umfangreiche Leitfaden bietet sehr praxisnahe Hinweise für regulierte Unternehmen, was die FMA unter Nachhaltigkeitsrisiken versteht und wie sie von regulierten Unternehmen erwartet, dass diese damit umgehen. Es ist also kein Wunder, dass einige Inhalte in den "Fakten, Trends und Strategien 2021" auf dem Leitfaden basieren.
Tatsächlich sind der Leitfaden und dessen Kurzfassung in den "Fakten, Trends und Strategien 2021" für all jene sehr hilfreich, die bisher noch wenig oder gar keine Berührung mit dem Thema hatten und nun nach "Best Practice"-Beispielen suchen, um sich für die eigene Unternehmensführung Inspiration zu holen. Der Vorstoß der FMA, hier als Behörde proaktiv, frühzeitig, transparent und in Kooperation mit den Rechtsunterworfenen (das vorhergehende Konsultationsverfahren gab ausreichend Zeit, sich zu äußern) offenzulegen, was erwartet wird, ist zu begrüßen. Besonders die im Leitfaden enthaltenen Anhänge mit Tools und Methoden zur Identifikation und Steuerung von Nachhaltigkeitsrisiken (Anhang A) und weiterführenden Quellen (Anhang B) sind für die Praxis nützlich, weil sie – beim Thema Nachhaltigkeit selten genug – endlich "Fleisch am Knochen" bieten und sich nicht nur in ewigen Begriffsdefinitionen verstricken, sondern anhand von Beispielen konkret machen, was das im Unternehmensalltag bedeutet. So weit, so gut.
Was dann aber in den "Fakten, Trends und Strategien 2021" unter dem Schlagwort "Integration von Nachhaltigkeitsrisiken in die operative Aufsichtstätigkeit" zu lesen ist, lässt wieder daran zweifeln, ob der Zugang der Behörde tatsächlich auch so praxistauglich gelebt wird. Dort schreibt die FMA zB bei Banken, dass sich Geschäftsleiter nach allgemeinen Sorgfaltspflichten über Risiken zu informieren und diese zu steuern haben. Außerdem haben sie über Pläne und Verfahren zur Bewertung der Eigenkapitalausstattung zu verfügen. Bei Versicherungen schreibt die FMA ganz ähnlich über umfassendes Risikomanagement, wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Risiken und Steuerung von Risiken. Und wer wollte das auch ernsthaft bestreiten – gerade Banken und Versicherungen gehören schließlich zu jenen Teilnehmern am Unternehmensverkehr, die am engmaschigsten reguliert sind.
Der Sprung von Nachhaltigkeitsrisiken zu den von der FMA wohl nicht zufällig beispielhaft angeführten Eigenmittelvorschriften ist allerdings nicht trivial. Wie sollen sich welche Nachhaltigkeitsrisiken auf die Eigenmittel auswirken und wieso handelt es sich dabei überhaupt um eine neue Kategorie an Risiken, die vom umfassenden Risikobegriff der CRR nicht erfasst sein soll? Ebenso etwas verloren wirkt der Hinweis auf die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen der Geschäftsleiter der beaufsichtigten Unternehmen. Auch diese Anforderungen sind den Beaufsichtigten in der Regel selbstverständlich mehr als bewusst. Gerade im Nachhaltigkeitsbereich, wo sich sowieso ein Buzzword an das andere reiht und ein Gesetzesentwurf auf den nächsten folgt, ohne wirkliche definitorische Klarheit zu schaffen, ist es für Beaufsichtigte eine große Herausforderung, den Überblick zu behalten, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und zu wissen, worauf sie bei dem Thema den Fokus legen sollen. Jegliche Äußerung der Behörde muss deshalb gerade hier besonderen Wert darauf legen, klar und eindeutig zu sein.
Der von der FMA veröffentlichte Leitfaden gab ein sehr taugliches Instrumentarium an die Hand, um verschiedene Risiken auf technischer Ebene zu verstehen und steuern zu lernen. Die "Fakten, Trends und Strategien 2021" lassen eine ähnliche Klarheit auf rechtlicher Ebene leider vermissen. Zu befürchten ist, was schon länger im Raum steht: Unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit wird das Aufsichtskorsett einfach nur noch enger gespannt.
Unausgesprochen – und deshalb meist auch unwidersprochen – scheinen alle davon auszugehen, dass "nachhaltiger" gleich "strenger" bedeuten muss, insbesondere bei den Dokumentationspflichten. Das wäre aber bedauerlich. Es würde sich dann einfach nur um eine Perpetuierung des ewig Selben handeln und schlicht die Aufsichtspraxis des letzten Jahrzehnts fortschreiben, in dem das Vehikel "Nachhaltigkeit" für intensivere Regulierung genutzt wird – genau wie vor ein paar Jahren das Vehikel "Digitalisierung" dafür genutzt wurde. Nähme man Nachhaltigkeit beim Wort, wäre aber doch gerade bei ohnehin schon streng beaufsichtigten Unternehmen zu fragen, wie diese wirklich zu einem nachhaltigen Wirtschaftskreislauf beitragen können und ob zum Beispiel die immer massiveren Reportingpflichten, die zu Berichten führen, bei denen sich im Nachhinein herausstellt, dass sie ohnehin von niemandem gelesen werden, wirklich der effizienteste Weg dorthin sind und die Ressourcen der Unternehmen damit sinnvoll gebunden werden.
Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Aufsichtspraxis in diesem Bereich entwickelt. Das wird wohl auch stark von den EU-Vorgaben abhängen, da die FMA schon selbst mehrmals darauf hinwies, dass sie sich hier in enger Abstimmung mit den anderen Behörden befindet. Noch besteht Hoffnung, dass die Behörden auf echten Dialog mit den Beaufsichtigten setzen. Für Österreich wird das Jahr 2021 mit dem ausdrücklichen Prüfungsschwerpunkt Nachhaltigkeit jedenfalls entscheidend sein, um die weitere Aufsichtspraxis der FMA zu beurteilen.