Unzulässige AGB-Klausel kann durch "praktische Handhabung" saniert werden

Die österreichische Rechtsprechung zu AGB ist bekanntlich besonders streng. Aufgrund der verbraucherfreundlichen Rechtsprechung gibt es kaum ein Klauselverfahren, das vor dem OGH gewonnen wird.

Eine zuletzt ergangene höchstgerichtliche Entscheidung bietet hier einen neuen Ansatzpunkt. Laut OGH kommt es nicht nur auf den Inhalt der Klausel an – sondern auch auf die praktische Handhabung der Klausel zwischen Unternehmer und Kunden.

Unsere Bankrechts-Experten stellen die Entscheidung und ihre Auswirkungen dar:

Der Oberste Gerichtshof ("OGH") hat sich kürzlich wieder einmal mit Fremdwährungskrediten beschäftigt (OGH 22. 10. 2024, 4 Ob 4/23a – auch veröffentlicht als Rechtssatz RIS-Justiz RS0134940):

Sachverhalt

Der Sachverhalt war ganz typisch wieder einmal ein Kredit in Schweizer Franken. Die klagenden Verbraucher schlossen mit der beklagten Bank 2002 einen CHF-Kredit in der Höhe von EUR 220.000 ab. Der CHF entwickelte sich nicht wie erhofft – die zurückzahlende Kreditsumme  war umgerechnet in EUR daher entsprechend höher. 

Unter anderem war auch eine Zinsgleitklausel mit folgendem Wortlaut Gegenstand des Verfahrens (Hervorhebung hinzugefügt):

"Als Indikator für die Refinanzierungskosten dienen die […] LIBOR Zinssätze für Einmonatsgelder […] jeweils aufgerundet auf volle 0,125 Prozentpunkte". 

Rechtsfrage

Die Kläger argumentierten, dass die verwendete Rundungsregel unzulässig sei, weil sie gegen die Bestimmung des § 6 Abs 1 Z 5 Konsumentenschutzgesetz verstoße. Diese Bestimmung sieht die verpflichtende Zweiseitigkeit derartiger Klauseln (Entgelterhöhung und Entgeltsenkung) vor. Die zitierte Klausel bestimme aber nur eine Aufrundung (gut für Bank), nicht auch eine Abrundung (gut für Kreditnehmer).

Die beklagte Bank argumentiere dagegen, dass die Kläger durch die Zinsgleitklausel in der Praxis keinen Nachteil erlitten hätten. Die Rundung sei in der bisherigen Vertragslaufzeit stets in beide Richtungen kaufmännisch erfolgt. Das heißt die Zinssätze wurden immer sowohl auf- als auch abgerundet.

Entscheidung

Der OGH hielt fest, dass die Zinsgleitklausel zwar dem Wortlaut nach unzulässig wäre, da sie dem Unternehmer einseitig ein höheres Entgelt ermögliche, ohne eine entsprechende Möglichkeit zur Entgeltsenkung vorzusehen. 

Nach allgemeinen Auslegungsregeln des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzesbuchs sei aber nicht ausschließlich der Wortlaut entscheidend, sondern primär die Absicht der Parteien. Im vorliegenden Fall sei es über zwanzig Jahre hinweg zu keiner einseitigen Aufrundung der Zinsen gekommen, sondern es wurde immer kaufmännisch auf- und abgerundet. 

Der OGH entschied daher, dass die praktische Handhabung dieser Bestimmung ein deutliches Indiz dafür sei, dass die Klausel in diesem Sinn vereinbart wurde (Auslegung anhand der tatsächlichen Übung). Anderes könne nur in Verbandsprozessen (zB durch die Bundesarbeitskammer angestrengt) gelten, wo die "kundenfeindlichste Auslegung" heranzuziehen sei.

Bedeutung für zukünftige Klauselverfahren

Das Ergebnis, die praktische Handhabung zu berücksichtigen, ist sowohl dogmatisch richtig als auch vernünftig, da Verträge nach dem Willen der Parteien auszulegen sind. Schließlich war es – wie die tatsächliche Handhabung von Beginn an zeigte – niemals Absicht des Kreditinstituts (und klarerweise auch nicht des Kunden), nur im mathematischen Sinn aufzurunden. Dass der OGH klarstellte, dass dies jedenfalls in Individualprozessen gilt, ist deshalb zu begrüßen. 

Selbst in Verbandsprozessen ist unseres Erachtens das letzte Wort aber noch nicht gesprochen. So ließ der OGH zB zuletzt in der "oeticket-Entscheidung" (9 Ob 34/24a) ebenfalls die praktische Handhabung einfließen, obwohl es sich dort um einen Verbandsprozess handelte. Unseres Erachtens sollte die praktische Handhabung auch in Verbandsprozessen eine Rolle spielen. Dies jedenfalls dann, wenn keine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen ist. Im konkreten Fall war die Software der Bank offenbar so programmiert, dass sie stets kaufmännisch gerundet hat. Dann lässt sich aber gut begründen, dass auch aus dem Blickwinkel einer Verbandsklage kein Verstoß gegen Konsumentenschutzrecht vorliegt. 

Aus der Begründung des OGH ergibt sich aber auch klar, dass selbst ein Unterliegen im Verbandsprozess noch nicht bedeutet, dass dem einzelnen Kunden dann auch Ansprüche zustehen. Dies hängt dann von der Handhabung im Einzelfall und allenfalls auch sonstigen Dokumenten ab, aus denen sich ergibt, dass de facto nie ein gesetzwidriger Nachteil des Verbrauchers intendiert war.

Um die praktische Handhabung im Streitfall beweisen zu können, sollte diese aber jedenfalls gut dokumentiert sein. Wir unterstützen gerne sowohl bei der Durchsicht von AGB als auch mit Beratung zu den Prozessen im Hintergrund und der Kommunikation mit den Kunden, um AGB nicht nur zu vereinbaren, sondern auch rechtssicher zu leben.