Gefahrenzone Urheberrecht
Ist das Urheberrecht noch zeitgemäß? Die Diskussionen über diese Frage und um einen Reformbedarf des Gesetzes wollen einfach nicht verstummen.
Mangels expliziter Regelungen besteht oft Rechtsunsicherheit, wie und ob die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen auf neue Applikationen Anwendung finden. Damit kommt den Gerichten, und hier insbesondere dem EuGH mit seiner Auslegungshoheit europarechtlicher Normen, immer größere Bedeutung bei der Rechtsentwicklung zu. Gleichzeitig schwindet freilich die Vorhersehbarkeit, ob gewisse Handlungen und Geschäftspraktiken zulässig sind. Dies schürt Angst vor (unbewussten) Rechtsverletzungen oder Ertragsverlusten, betrifft zahlreiche Themen und geht weit über die in den letzten Jahren vorrangig diskutierte Frage zur Rechtmäßigkeit von Peer-to-Peer-Tauschbörsen hinaus.
Sperrverfügungen gegen Access-Provider
Zur allgemeinen Überraschung verpflichtete das Handelsgericht Wien im Mai 2011 UPC dazu, die Internetseite kino.to wegen Urheberrechtsverletzungen zu sperren. Diese Sperrverfügung gegenüber einem Zugangsvermittler zum Internet (Access-Provider) und damit bloßem Infrastrukturanbieter ist mit einiger Brisanz versehen und wurde vor allem in IT-Kreisen sehr kritisch aufgenommen. Denn das E-Commerce-Gesetz (ECG) sieht Haftungsbeschränkungen vor und schließt eine generelle Prüfpflicht für Provider aus, um den Bestand des Netzes zu sichern. Dass dies nun über die Hintertür eines (zweifelhaften) Unterlassungsanspruches ausgehebelt werden soll, kann weitreichende Auswirkungen haben.
Offene Fragen
Die Vorgangsweise der Rechteinhaber macht aber deutlich, dass das österreichische (Urheber-)Recht derzeit offensichtlich keine ausreichenden Verfolgungsmöglichkeiten gegen die unmittelbaren Täter bietet. Dementsprechend kamen die bloßen Vermittler – hier ein renommiertes, unverdächtiges Unternehmen – zum Handkuss. Der OGH legte die konkrete Rechtsfrage, ob Sperrverfügungen gegen Access-Provider zulässig sind, dem EuGH zur Vorabentscheidung vor (OGH 4 Ob 6/12d). Die umfassenden Entscheidungsgründe des OGH legen offen, dass dieses Thema nur Teil eines zusammenhängenden Geflechts an ungelösten, aufbauenden Problemstellungen rund um Internet und Urheberrecht ist.
Offene (Vor)Fragen
Eine vom OGH in der Entscheidung angesprochene, vorgelagerte Frage ist die, ob eine (Privat-)Kopie nur bei Rechtmäßigkeit der Vorlage zulässig ist. In Österreich ist dieses Thema – anders als etwa in Deutschland – noch nicht gesetzlich geregelt und wird in der Praxis heftig diskutiert. Ebenso hat der OGH Überlegungen zur urheberrechtlichen Einordnung der Streaming-Dienste angestellt, die in der Praxis sehr populär, gesetzlich jedoch nicht explizit geregelt sind: Wenn nämlich die Privatkopie keine legale Quelle voraussetzt und Streaming zulässig ist, handelt der einen unlizenzierten Content ansehende User selbst nicht unmittelbar rechtswidrig. Damit würde aber der Unterlassungsanspruch gegen den Access-Provider in Frage gestellt.
Rechtsschutz-Defizite
Neben den vom OGH aufgezeigten materiellen Themen ist aber auch der verfahrensrechtliche Rechtsschutz in Österreich im Argen: Das Vorgehen von Rechteinhabern gegen Access-Provider resultiert zu einem Gutteil daraus, dass mit der Abschaffung des Ermittlungsverfahrens im (urheberrechtlichen) Privatanklageverfahren im Jahr 2008 der effektive Rechtsschutz für Rechteinhaber wesentlich erschwert wurde. So muss das Opfer nun selbst den Sachverhalt vollumfänglich erforschen und kann nicht mehr auf den staatlichen Ermittlungsapparat zurück greifen. Freilich waren aber auch die Rechteinhaber an dieser Entwicklung nicht ganz schuldlos: So wurden früher Straf- und Ermittlungsverfahren primär dazu genutzt, Druck für einen außergerichtlichen Vergleich aufzubauen. Bei einer finanziellen Einigung wurde das Strafverfahren in der Regel durch Rücknahme der Privatanklage beendet. Diese Situation war für die Gerichte reichlich unbefriedigend, da sie zuerst unter Zeitdruck und Belastung ihrer Ressourcen Schritte setzen mussten, die dann aber zu keiner Erledigung führten.
Dazu kommt, dass der an sich im Urheberrecht und auch im ECG geregelte Auskunftsanspruch gegenüber Providern bei Rechtsverletzungen ins Leere geht (4 Ob 41/09x; 6 Ob 119/11k): Der Provider darf die notwendigen Verkehrsdaten (wer hat wann was angesehen) auch nach Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in das nationale österreichische Recht bei Urheberrechtsverletzungen nicht erheben und daher auch keine Auskunft darüber geben (EuGH C-461/10).
Haftung für Links
Apropos Haftung für Inhalte Dritter: Auch bei einer anderen, internetzspezifischen Nutzung – der Linksetzung – ist weiterhin Vorsicht geboten: Zwar hat der OGH im Rahmen der rechtlichen Untersuchung des Geschäftsmodells von 123people.at grundsätzlich festgestellt, dass eine Verlinkung nicht in das internetspezifische zur Verfügungsstellungsrecht im Sinne des § 18a Urheberrechtsgesetz eingreift. Damit folgt der OGH dem deutschen Bundesgerichtshof, der bei vergleichbaren Sachverhalten ebenfalls zu diesem Ergebnis gelangte. Nicht übersehen werden darf dabei allerdings, dass sich der OGH dabei auf rechtmäßig ins Internet gestellte Inhalte, die nicht auf einem eigenen Server dupliziert werden, bezog. Außerdem entschied er, dass bei einer Verlinkung keine technischen Schutzmaßnahmen des Berechtigten vor unkontrolliertem öffentlichen Zugang umgangen werden dürfen. Aber: Kann bei jeder Website mit Sicherheit angenommen werden, dass deren Inhalte diese Voraussetzungen erfüllen? Wohl kaum. Damit schließt sich freilich der Kreis zur eingangs dargestellten Problematik wieder: Auch wenn der Linksetzer selbst nicht über Abrufbarkeit im Netz entscheidet, ist – auf Basis der bestehenden Entscheidung – seine Haftung bei einem rechtswidrigen Upload durch einen Dritten nicht ausgeschlossen.
Dringender Novellierungsbedarf
Vor dem dargestellten Hintergrund sind die zahlreichen Rufe nach klarstellenden, die technischen Gegebenheiten berücksichtigenden Regelungen im Urheberrecht nur zu verständlich. Vor allem bei der aktuell zu entscheidenden Access-Providerhaftung stellt sich die Frage, ob das Geschäft mit dem Internet nicht einen potentielle Haftungsfalle darstellt: Um nicht der Gefahr von Abmahnungen oder Gerichtsverfahren ausgesetzt zu sein, müssten die Provider das Netz ständig auf rechtswidrige Inhalte scannen. Daraus würde eine Prüfpflicht resultieren, die aber eigentlich auf gesetzlicher Basis europaweit klar ausgeschlossen ist und zudem zu einer Zensur führen würde. Es ist zwar grundsätzlich verständlich, dass die Rechteinhaber mit der Ausbeutung ihrer Leistungen unzufrieden sind, die durch neuere Technologien und Möglichkeiten immer weiter ausartet. In diesem Lichte ist auch der politische Vorstoß für eine weitergehende Vergütung in Form einer Festplattenabgabe zu sehen. Eine solche ist freilich wenig treffsicher und würde auch nur einen kleinen Mosaikstein regeln. Grundsätzlich gilt es daher, das gesamte Bild zu betrachten und die bestehenden Themen (Auskunftsansprüche, Privatanklageverfahren, Haftungsfreistellung für Provider) ganzheitlich zu lösen.