Die europäische Automobilindustrie steht seit Jahren unter Druck. Vom Nachfrageschock in der Pandemie hat sie sich infolge schwacher Konjunkturentwicklung nur sehr bedingt erholt. Gleichzeitig stellen Digitalisierung und Green Deal die Industrie vor große Herausforderungen. Das gilt auch für den Kfz-Vertrieb, der von den über die gesamte Wertschöpfungskette zurückgehenden Margen betroffen ist, während sich im digitalen Vertrieb neue Möglichkeiten auftun.
Anpassungen von bestehenden Händlerverträgen, mit denen die Industrie versucht, die mit diesen Entwicklungen verbundenen Risiken in der Wertschöpfungskette abzubilden, unterliegen jedoch rechtlichen Grenzen. Denn Kfz-Hersteller verfügen in vielen Fällen im Verhältnis zu ihren Händlern über eine relativ marktbeherrschende Stellung iSd § 4a KartG. Nach dem Urteil in der Sache Büchl/Peugeot unterliegen derartige Verträge einer strengen Billigkeitsprüfung. In diesem Urteil hat der OGH die dort gegenständlichen Versuche, die Vergütung der Händler stärker von ihren Verkaufszahlen und der Kundenzufriedenheit abhängig zu machen, als missbräuchlich qualifiziert (OGH 17.2.2021, 16 Ok 4/20d). Dies führte nicht nur zur Nichtigkeit der entsprechenden Klauseln, sondern hatte auch einen noch beim Kartellgericht anhängigen Geldbußenantrag der Bundeswettbewerbsbehörde zur Folge. Aktuellen Medienberichten zufolge hat Peugeot im Rahmen eines Vergleichs eine Geldbuße von EUR 15 Mio akzeptiert.
Als Alternative zu Änderungen des bewährten Händlermodells steigen Hersteller zunehmend auf ein Agenturmodell um. Nach dem Agenturmodell verkauft der Händler die Fahrzeuge nicht mehr selbst, sondern vermittelt dem Hersteller lediglich Kunden und erbringt in diesem Zusammenhang Dienstleistungen wie Probefahrten, Kundenberatung und Auslieferung.
Auch die Änderungskündigung zur Umstellung des Vertriebssystems, etwa auf ein Agenturmodell, unterliegt jedoch kartellrechtlichen Schranken. Der Abbruch einer Geschäftsbeziehung durch marktbeherrschende Unternehmen ist nach der Rechtsprechung nämlich nur zulässig, wenn er sachlich gerechtfertigt ist. Mit der Zulässigkeit von Änderungskündigungen durch (relativ) marktbeherrschende Unternehmen nach der Parallelbestimmung des deutschen Rechts (§§ 19, 20 dGWB) hat sich in der jüngeren Vergangenheit das Oberlandesgericht Frankfurt auseinandergesetzt.
Zulässigkeit von Änderungskündigungen
In seinen Urteilen ging das OLG Frankfurt (wie der OGH in Büchl/Peugeot) von einer relativen marktbeherrschenden Stellung des Herstellers gegenüber den Händlern aus. Es erachtete die dort gegenständlichen Änderungskündigungen jedoch nicht als unbillig und daher auch nicht als kartellrechtlich missbräuchlich.
Im Rahmen der Billigkeitsprüfung sah das Gericht die Änderungskündigung als grundsätzlich von der Vertragsautonomie gedecktes Verhalten an. Ferner prüfte das Gericht, ob der Hersteller unzulässigen Druck auf die Händler ausgeübt habe. Relevant dafür war insbesondere die Frist von 2,5 Monaten, die den Händlern für die Entscheidung über den Umstieg auf das neue Vertragsmodell eingeräumt wurde. Da die Restlaufzeit der Altverträge (zwei Jahre ab Kündigung) deutlich länger als diese Entscheidungsfrist war, wurden Händler, die sich gegen das neue Vertragsmodell entschieden, jedoch nicht sofort aus dem Vertriebsnetz ausgeschlossen, sondern waren für weitere 21,5 Monate vertriebsberechtigt. Für die bloße Entscheidung über den Umstieg auf das neue Modell – welche sich aufgrund der Restlaufzeit nicht sofort auf Händler auswirkte, die das neue Modell nicht akzeptierten - sah das Gericht die Frist von 2,5 Monaten als ausreichend an (OLG Frankfurt 13.6.2023, 11 U 14/23 (Kart)).
Flexibilisierung von Neuverträgen
Von besonderem Interesse ist ferner die Auseinandersetzung des OLG Frankfurt mit der Frage, ob sich der Hersteller in einem der beiden Verfahren zurecht ein einseitiges Recht zur jährlichen Änderung der Grundmarge und der Boni vorbehalten habe. Einseitige Änderungsrechte von vertraglichen Leistungsversprechen der Hersteller unterliegen nach der Rechtsprechung des BGH nämlich engen Grenzen.
Anders als in den früheren vom BGH entschiedenen Fällen war die Händlermarge im vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall nicht im Vertrag festgelegt, sondern einseitig in Form von Rundschreiben kommuniziert worden. Nach Auffassung des Gerichts hatte der Hersteller seinen Vertragspartnern daher keine Marge garantiert, sodass eine jährliche Änderung zulässig sei. Das Interesse des Herstellers an einer flexiblen Anpassung erachtete das Gericht auch aus kartellrechtlicher Sicht als gerechtfertigt. Als Grund dafür führte das OLG Frankfurt ua Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – wie Inflation, steigende Energie- Rohstoff- oder Zuliefererpreise, Schwierigkeiten in den Lieferketten – und der rechtlichen Rahmenbedingungen an. Diesem Interesse stehe zwar das ebenfalls legitime Interesse der Händler an der Sicherstellung ihrer wirtschaftlichen Existenz im Wege langfristiger Verträge entgegen. Zur Wahrung dieses Interesses stünden den Händlern jedoch Rechtsschutzinstrumente zur Verfügung, da die Ausübung des einseitigen Änderungsrechts ihrerseits der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliege (OLG Frankfurt 14.2.2023, 11 U 9/22 (Kart)).
Schlussfolgerungen
Die deutsche Rechtsprechung erlaubt Rückschlüsse auf die kartellrechtliche Zulässigkeit von Änderungskündigungen, die angesichts der vergleichbaren Rechtslage auf Österreich übertragbar sein dürften. Die Vorgabe einer kürzeren Frist zur Entscheidung über einen Umstieg auf ein neues Vertragsmodell erscheint daher als zulässig, sofern die Frist zwischen Kündigung und tatsächlichem Vertragsende hinreichend lang ist.
Diffiziler ist die Übertragbarkeit der deutschen Rechtsprechung zu einseitigen Leistungsänderungsrechten, da vergleichbare Rechtsprechung in Österreich noch fehlt. Da, wie das OLG Frankfurt ausführt, die Ausübung solcher Änderungsrechte ohnedies kartellrechtlich überprüfbar ist, erscheint die Qualifikation der Einräumung solcher Rechte als Konditionenmissbrauch aber keineswegs als zwingend.
Möglicherweise bedeutsam ist zudem der Umstand, dass das OLG Frankfurt die schwierigen wirtschaftlichen Umstände auf Herstellerseite als im Rahmen der Billigkeitsprüfung berücksichtigungsfähig anerkannte. Sollten die österreichischen Gerichte diese Interessen ebenfalls als legitim anerkennen, so wäre eine Lockerung der im Büchl/Peugeot vorgenommenen sehr strengen Billigkeitsprüfung vorstellbar.