Das EU Parlament hat am 26.3.2019 die neue Urheberrechtsrichtlinie beschlossen. Selten zuvor hat ein Regelwerk so stark polarisiert und die Gesellschaft gespalten: Rechteinhaber und Befürworter begrüßen die aus ihrer Sicht faire Bezahlung der Künstler und Autoren und einheitliche Wettbewerbsbedingungen. Gegner befürchten Zensur durch Uploadfilter und das Ende des Internet wie wir es kennen. Aber was bringt die neue Richtlinie tatsächlich an Veränderungen? Wir haben die einzelnen Bestimmungen unter die Lupe genommen:
Dem Inkrafttreten der höchst umstrittenen Urheberrechtsrichtlinie steht (fast) nichts mehr im Wege. Am 26.3.2019 hat das EU Parlament mit einer Mehrheit von 348 zu 274 Stimmen die neue EU-Urheberrechtsreform beschlossen. Der Antrag, über Änderungen zu einzelnen strittigen Artikeln abzustimmen, wurde zuvor nur hauchdünn abgelehnt. Laut Medienberichten haben einzelne Parlamentarier im Nachgang sogar behauptet, versehentlich falsch abgestimmt zu haben. So oder so: Dem Entwurf der Richtlinie muss nun nur mehr der Europäische Rat zustimmen. Das ist üblicherweise eine reine Formsache.
Warum kam überhaupt der Neuschliff des Urheberrechts? Die letzte große Reform fand im Jahr 2001 statt. Die allgemein als Info-RL oder InfoSoc-RL bekannte Richtlinie 2001/29/EG hatte zwar die "Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts […] in der Informationsgesellschaft" im Sinne. Die heutigen Ausmaße und technischen Möglichkeiten des Internet waren vor rund 20 Jahren aber noch Science Fiction. Die umstrittene Richtlinie soll nun das Urheberrecht an die neuen technischen Herausforderungen anpassen, die sich durch Facebook, Google, YouTube und Co ergeben. Dazu heißt es in Erwägungsgrund 3 der Richtlinie, "[d]ie rasanten technologischen Entwicklungen führen zu einem ständigen Wandel in der Art und Weise, wie Werke und sonstige Schutzgegenstände geschaffen, erzeugt, vertrieben und verwertet werden." Die neue Richtlinie nimmt daher für sich in Anspruch, "zukunftstauglich [zu] sein, damit die technologische Entwicklung nicht behindert wird".
Uploadfilter
Für die größte mediale Aufmerksamkeit sorgte Art 17 (zuvor Art 13), der mittlerweile allgemein als "Uploadfilter-Bestimmung" bezeichnet wird, wiewohl er eigentlich nicht konkret darauf Bezug nimmt. Doch was steckt hinter diesem Schlagwort?
Art 17 ist auf "Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten" anwendbar. Das ist nach Art 2 jeder Dienst, "bei dem der Hauptzweck bzw. einer der Hauptzwecke darin besteht, eine große Menge an von seinen Nutzern hochgeladenen, urheberrechtliche geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu speichern und der Öffentlichkeit Zugang hierzu zu verschaffen, wobei dieser Anbieter diese Inhalte organisiert und zum Zwecke der Gewinnerzielung bewirbt". Ausgenommen sind bestimmte Dienste, wie zB nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien, Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste, Online-Marktplätze oder gewisse Cloudservices.
Dazu gibt es eine Ausnahme für KMUs: Die Regelung findet keine Anwendung auf Dienste, die (i) weniger als drei Jahre verfügbar sind, (ii) deren Jahresumsatz zehn Millionen Euro nicht übersteigt und (iii) deren durchschnittliche Besucherzahl unter fünf Millionen liegt. Dabei handelt es sich um kumulative Voraussetzungen. Ab dem vierten Jahr eines Dienstes sind die Regelungen also voll anwendbar.
Art 17 sieht vor, dass ein Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten die Erlaubnis von Rechteinhabern einholt – zB in Form einer Lizenz –, damit er die Werke oder sonstige Schutzgegenstände öffentlich zugänglichmachen oder wiedergeben darf. Die Erlaubnis soll dabei nicht nur eigene, sondern auch Handlungen von ihren Nutzern umfassen.
Die Diensteanbieter sollen weiters für Werke, für die sie keine Erlaubnis haben, "nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt" alle Anstrengungen unternehmen, damit diese nicht verfügbar gemacht werden. Diese Anforderung wird landläufig als das Erfordernis von Uploadfiltern zusammengefasst. Diese bieten nämlich die naheliegendste – nach dem aktuellen Stand der Technik bekannte – Lösung für die Umsetzung dieser Voraussetzung. Es bleibt aber abzuwarten, in welcher Form die Richtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt wird und wie sich die entsprechende Technik bis zu diesem Zeitpunkt entwickelt. So kündigen einzelne Mitgliedstaaten bereits an, den Einsatz von Uploadfilter bei der nationalen Umsetzung bewusst nicht vorzuschreiben.
Da das Haftungsprivileg des E-Commerce-Gesetzes für solche Diensteanbieter künftig nicht mehr gilt, können sie sich nur durch Einhaltung der genannten Voraussetzungen (Rechteerwerb oder Verhinderung des Uploads von Werken) schützen. Andernfalls haften sie unmittelbar für die Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer. Das kann in der Praxis zu sehr schwerwiegenden Folgen für die Plattformbetreiber führen.
Leistungsschutzrecht für Presseverlage
Der zweite Troublemaker des Entwurfs ist Art 15 (zuvor Art 11). Dieser sieht ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage vor. Demnach sollen nicht nur Newsaggregatoren und Suchmaschinen, sondern allgemein "Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft" eine Genehmigung für die öffentliche Wiedergabe von Presseveröffentlichungen benötigen. Das Ziel ist, die Beteiligung der Presseverlage an den (Werbe-)Einnahmen von Diensten wie Google News zu ermöglichen. Da die Richtlinie keinen Vergütungszwang vorsieht, ist aber auch die Erteilung von Gratislizenzen möglich. Das Leistungsschutzrecht ist auf einen Zeitraum von zwei Jahren nach der Erstveröffentlichung begrenzt.
Ausgenommen ist die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Presseveröffentlichung. Die Richtlinie definiert allerdings nicht, was darunter konkret zu verstehen ist. Guidance gibt bloß Erwägungsgrund 58, wonach durch die Nutzung des Textausschnittes "die Wirksamkeit der in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Rechte nicht beeinträchtigt" werden darf. Diese unklare Formulierung ist im Lichte der Judikatur des EuGH auszulegen, wonach bereits eine elf Wörter umfassende Wortfolge urheberrechtlich geschützt sein kann (EuGH C‑5/08 - Infopaq). In der Praxis ist hier also mit einer sehr einschränkenden, rechteinhaberfreundlichen Auslegung zu rechnen.
Die Zulässigkeit der Setzung von Links wird durch die Richtlinie nicht berührt. Ein Link auf legale Inhalte ist daher grundsätzlich weiterhin zulässig (EuGH C-160/15 – GS Media).
Das Leistungsschutzrecht hat vor dem Hintergrund ähnlicher nationaler Regelungen in Deutschland und Spanien einen schalen Beigeschmack. In der Praxis sind diese Bestimmungen nämlich kläglich gescheitert. In Deutschland hat sich Google News die Einwilligung der dort verfügbaren Presseverlage ohne Entgelt zusichern lassen – in Spanien wurde der Dienst gänzlich abgeschafft. Im Endeffekt spitzt es sich also dahingehend zu, dass die in solchen Diensten verfügbaren Inhalte entweder reduziert oder gänzlich abgeschafft werden. Und das ohne Vorteil der Presseverlage.
Ausblick
Die Mitgliedstaaten haben nach dem Inkrafttreten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in ihr nationales Recht umzusetzen. Obwohl die Richtlinie eine Harmonisierung vor Augen hat, sind die Vorgaben für die Mitgliedstaaten aber insgesamt eher unscharf und lassen viel Raum für Interpretation. Ob damit die gewünschte Harmonisierung und Rechtssicherheit erreicht werden kann, ist aus unserer Sicht daher durchaus zweifelhaft. Aufgrund der hohen wirtschaftlichen Relevanz sind auch zahlreiche Vorlagefragen an den EuGH zur Auslegung des vagen Richtlinientextes zu erwarten.