Der österreichische Oberste Gerichtshof hat in einer international wegweisenden Entscheidung (18 ONc 3/20s) die Zulässigkeit elektronischer Verhandlungen in Schiedssachen ausdrücklich bestätigt und damit dem Effizienzgedanken den Vorzug gegeben.
Der Ausbruch von Covid-19 hat weltweit zu gravierenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens geführt. Gerichtsverhandlungen wurden zunächst verschoben, Zeugen aus dem Ausland konnten und können nach wie vor nicht uneingeschränkt anreisen. Schiedsgerichte gingen daher vermehrt dazu über, mündliche Verhandlungen per Videokonferenz abzuhalten. Schon bisher bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass damit eine Effizienzsteigerung möglich ist. Offen war jedoch bis dato, ob die Abhaltung von Schiedsverhandlungen per Videokonferenz auch dann zulässig ist, wenn sich eine Partei dagegen ausspricht, oder ob dadurch das Recht auf ein faires Verfahren verletzt wird. Der OGH hat nun die Zulässigkeit elektronischer Verhandlungen ausdrücklich bestätigt.
Der Entscheidung liegt ein seit 2017 anhängiges und vom Vienna International Arbitral Centre ("VIAC") administriertes Schiedsverfahren zugrunde. Im Einvernehmen mit den Parteien setzte das Schiedsgericht zunächst eine Verhandlung in Wien für März 2020 fest, die auch der Einvernahme des in den USA ansässigen Hauptzeugen dienen sollte. Aufgrund von Covid‑19 und der damit verbundenen Reisebeschränkungen wurde die Verhandlung auf April 2020 verschoben. Um den Termin trotz weiterhin bestehender Beschränkungen halten zu können, ordnete das Schiedsgericht – trotz Widerspruch der Beklagten – die Abhaltung der Schiedsverhandlung per Videokonferenz an.
Die Beklagte wandte sich in weiterer Folge an den OGH, beantragte die Ablehnung des Schiedsgerichts wegen Befangenheit und brachte dazu unter anderem vor, dass die vom Schiedsgericht einseitig angeordnete elektronische Durchführung der Verhandlung das Recht auf ein faires Verfahren verletze; dies auch deshalb, weil Zeugen auf diese Weise leichter beeinflusst werden könnten.
OGH wies Ablehnungsantrag ab
Das Schiedsgericht habe bei der Entscheidung über die Modalitäten der Schiedsverhandlung einen weiten Ermessensspielraum. Der Einsatz von Videokonferenztechnologie sei in gerichtlichen Verfahren schon bisher internationaler Standard und grundsätzlich unbedenklich. Da Art 6 EMRK auch ein Recht auf effektiven Rechtsschutz verbriefe, sei – gerade in Zeiten einer Pandemie – die Videokonferenz ein geeignetes Mittel, um Ansprüche auf rechtliches Gehör und auf effektive Rechtsdurchsetzung zu vereinen. Missbrauch – etwa die Beeinflussung von Zeugen – sei auch bei Präsenzverhandlungen nie gänzlich ausgeschlossen.
Der OGH gibt Schiedsrichtern in seiner Entscheidung auch Leitlinien, wie eine unzulässige Beeinflussung von Zeugen in Videokonferenzen vermieden werden kann. Besteht etwa der Eindruck, dass ein Zeuge Chatnachrichten auf seinen Bildschirm bekommt, kann er dazu angehalten werden, direkt in die Kamera zu blicken. Auch ein Kameraschwenk durch den ganzen Raum vor Beginn der Vernehmung kann Missbrauch verhindern.
Elektronische Verhandlungen sind zulässig
Mit seiner Entscheidung hat der OGH die Abhaltung von Schiedsverhandlungen über Videokonferenzen ausdrücklich als internationalen Standard anerkannt. Schiedsgerichte können damit elektronische Verhandlungen weitaus flexibler einsetzen als staatliche Gerichte, die bei der Durchführung einer Verhandlung per Videokonferenz gemäß § 3 Abs 1 Z 1 1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz an die Zustimmung aller Parteien gebunden sind.
Die Bedeutung dieses Urteils geht weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Zum einen ist dies soweit ersichtlich das erste Urteil eines nationalen Höchstgerichts, das sich mit der Zulässigkeit einer elektronischen Verhandlung in Schiedssachen befasst. Zum anderen stützt sich der OGH auf § 594 ZPO, der in seinem Kern dem UNCITRAL-Modellgesetz entspricht sowie internationale Rechtsquellen, darunter, Art 6 EMRK, deutsches Recht und ausländische Judikatur und Literatur zur Nutzung von Videokonferenzen in internationalen Verfahren.