Erstmals sollen unternehmerische Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards auf Zuliefererbetriebe in Drittländern ausgedehnt werden. Die EU-Kommission beschäftigt sich seit Kurzem mit der Ausarbeitung einer verbindlichen unionsweiten Vorgabe.
Beim alljährlichen "Osterhasen-Check" der Menschenrechtsorganisation Südwind in Kooperation mit der Umweltschutzorganisation Global 2000 fiel jedes dritte Produkt durch. Denn die betroffenen Schoko-Osterhasen, seien weder ökologisch noch sozial verträglich produziert worden. Um künftig Bewertungen nach diesen beiden Parametern weitgehend überflüssig zu machen und nachhaltige Produktion zu fördern, gab es jüngst einen Vorstoß des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen. Ziel der geplanten EU-Richtlinie ist es, potenzielle oder tatsächliche nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte, die Umwelt und die verantwortungsvolle Führung in der Wertschöpfungskette zu verhindern bzw abzumildern sowie sicherzustellen, dass Unternehmen für derartige Auswirkungen auch zur Rechenschaft gezogen werden können.
Binnen zwei Jahren sollen die Mitgliedstaaten mit Rechts- und Verwaltungsvorschriften darauf hinwirken, dass große Unternehmen, börsennotierte KMUs oder solche mit hohem Risiko, bestimmten Sorgfaltspflichten in ihren Geschäften und Geschäftsbeziehungen nachkommen. Im Fokus steht eine zu entwickelnde und umzusetzende Unternehmensstrategie, mit welcher vor allem Offenlegungspflichten über die Wertschöpfungskette einhergehen. Alle verhältnismäßigen und angemessenen Konzepte und Maßnahmen sollen ergriffen und offengelegt werden, um die Wahrung der Menschenrechte, den Schutz der Umwelt und die Etablierung einer verantwortungsvollen Unternehmensführung sicherzustellen. Konkret soll dadurch dem Verbot der Kinder- und Zwangsarbeit, dem Verbot der Ausbeutung von Arbeitskräften und des Menschenhandels, Diskriminierungsverbote und umweltbezogenen Pflichten, wie dem Erhalt des Regenwaldes, zum Durchbruch verholfen werden.
Derartige Informationen sollen sodann öffentlich zugänglich und kostenlos abrufbar zur Verfügung gestellt werden, insbesondere auf den Websites der jeweiligen Unternehmen. Sogenannte Interessensträger (potenziell betroffene Personen- oder Personengruppen und insbesondere NGOs) gewinnen dadurch Einsicht in für sie bisher nicht gewährte Informationen. Zudem soll ihnen die Möglichkeit der Einleitung eines Beschwerdeverfahrens offenstehen, wodurch sie Bedenken und Vorschläge zur Behebung aufgezeigter Missstände in Wertschöpfungsketten aufzeigen können. Dieses Beschwerdeverfahren ist betriebsintern sowohl als Frühwarnmechanismus als auch als Schlichtungssystem auszugestalten. Gerade in diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, all jene Sorgfaltspflichten betreffenden Angelegenheiten im Rechtsbereich oder der Compliance anzusiedeln, die auch jährlich überprüft werden müssen.
Zusätzlich soll die zivilrechtliche Haftung von Unternehmen in einer effizient durchsetzbaren Weise ausgestaltet werden, sodass Unternehmen, die nicht alle gebotene Sorgfalt walten lassen, um Schäden aus nachteiligen Auswirkungen auf die Menschenrechte, die Umwelt oder die verantwortungsvolle Unternehmensführung zu vermeiden, zum Ersatz verpflichtet werden können. In Deutschland, wo das Bundeskabinett bereits am 3. März 2021 einen den EU-Vorgaben entsprechenden Gesetzesentwurf für ein Lieferkettengesetz verabschiedet hat, gestaltete man diesen Punkt in Form einer Prozessstandschaft aus. Durch NGOs oder Gewerkschaften soll die private Rechtsdurchsetzung von betroffenen Personen vor deutschen Zivilgerichten wesentlich einfacher werden.
Um einiges weitreichender als die privatrechtlichen Aspekte der Sorgfaltspflichten sind deren öffentlich-rechtliche Überwachung und an Verstöße anzuknüpfende Verwaltungsstrafen, die im deutschen Entwurf bei besonders schweren Verstößen bis zur Höhe von 800.000 Euro gegen natürliche Personen sowie bis zur Höhe von 8 Millionen Euro gegen Unternehmen reichen oder allenfalls sogar 2 Prozent des Jahresumsatzes betragen können. Von der unionsrechtlichen Anregung, Unternehmen vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit von öffentlichen Aufträgen auszuschließen, machte die deutsche Regierung Gebrauch und normierte einen vergaberechtlichen Ausschluss von bis zu drei Jahren, falls über ein Unternehmen eine 175.000 Euro übersteigende Verwaltungsstrafe verhängt wird. Der Ausschluss entfällt jedoch, wenn sich das Unternehmen erfolgreich einer Selbstreinigung unterzieht.
In Frankreich gibt es bereits ein Lieferkettengesetz zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten: Im Januar 2020 brachte eine Allianz von 14 lokalen Behörden und zahlreichen NGOs eine Klage nach dem seit 2017 geltenden "loi de vigilance" gegen den französischen Ölgiganten Total SE ein, um diesen zur Reduzierung seiner Treibhausgasemissionen zu zwingen. Behauptet wird von der Klagseite, dass die Auswirkungen des Klimawandels für die Bewohner kleiner Regionen im Norden von Paris spürbar wären und die Total SE ihren Berichtspflichten nicht ausreichend nachkommen würde bzw die von ihr initiierten Maßnahmen nicht weitreichend genug wären. Voraussichtlich wird nun tatsächlich vor einem französischen erstinstanzlichen Gericht in Nanterre dazu verhandelt; erst im Februar 2021 bejahte dieses seine Zuständigkeit für die Causa.
In Österreich wird vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort indes noch zugewartet. Manche Unternehmen aus bestimmten Branchen werden bereits jetzt von Lieferkettengesetzen wie der EU-Konfliktmineralienverordnung oder der EU-Holzhandelsverordnung in die Pflicht genommen. In Anbetracht der (noch) fehlenden Sanktionen sind diese bisher eher zahnlos. Vorerst sieht es danach aus, als ob erst 2023, nach einer Evaluierung durch die Kommission, wieder Bewegung in die Angelegenheit kommen wird und etwaige Regelungslücken bei der Kontrolle dieser bereits erfassten Branchen geschlossen werden, aber auch alle anderen Unternehmen endgültig in den Kreisel der Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflichten einsteigen müssten. In den nächsten Jahren müssen Unternehmen, die Waren aller Art und aus aller Welt zugeliefert bekommen, somit verstärkt darauf achten, von wem und unter welchen Bedingungen beispielsweise der Kakao für die Schokolade an- und abgebaut wird.