Lieferketten und Corporate Sustainability Due Diligence wurden 2022 zu einem der bestimmenden Themen im Nachhaltigkeitsrecht. Für österreichische Unternehmen sind dabei insbesondere zwei Rechtsquellen relevant: Einerseits das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das ab 1.1.2023 gilt. Und andererseits die Corporate Sustainability Due Diligence Directive, die seit Februar 2022 als Entwurf auf EU-Ebene vorliegt.
Wir hatten die Gelegenheit, in unserer Beratungspraxis und in zahlreichen Vorträgen mit hunderten Teilnehmern beide Rechtsakte im Detail zu beleuchten. Wir durften dabei auch von den ersten Erfahrungen im praktischen Umgang unserer Mandanten und Zuhörer profitieren.
Nach einem Jahr intensiver Beschäftigung mit Lieferkettenregeln können wir vor diesem Hintergrund ein Zwischenfazit zu den drei drängendsten Fragen ziehen:
- Wie weit reicht die Pflicht zur Nachverfolgung der Lieferkette?
Während das deutsche Gesetz vorsieht, dass außer in Zweifelsfällen nur die Lieferbeziehung zum unmittelbaren Vertragspartner zu betrachten ist, kennt der EU-Entwurf keine solche Einschränkung. Muss das vom EU-Entwurf erfasste Unternehmen also tatsächlich die komplette Lieferkette – also auch den Lieferanten des Lieferanten des Lieferanten etc – im Detail kennen?
Unseres Erachtens kann das nicht uneingeschränkt gelten, weil dieser Anspruch praktisch nicht erfüllbar ist. Und Unerfüllbares kann der EU-Gesetzgeber von den betroffenen Unternehmen in der Lieferkette nicht fordern. Es kann also selbst bei einem derart weiten Verständnis von Lieferketten eine durchsetzbare Sorgfaltsverpflichtung nur in der Vertragsbeziehung mit dem unmittelbaren Lieferanten gelten. Nur mit diesem können die entsprechenden Sorgfaltspflichten vereinbart werden. Nur von diesem kann die Einräumung der notwendigen Einsichts- und Informationsrechte verlangt werden, um die Einhaltung der EU-Lieferketten-Regeln zu überwachen. Vorstellbar ist deshalb lediglich, dass das dem EU-Lieferkettengesetz unterliegende Unternehmen seine Lieferanten verpflichtet, dass er die Sorgfaltspflichten wiederum an seine Lieferanten überbinden muss. Damit "schuldet" das betroffene Unternehmen ein Bemühen, aber keinen "Erfolg" – und schon gar nicht aktive Kontrolle der gesamten Lieferkette. Deshalb kann es unseres Erachtens nicht sein, dass das österreichische Unternehmen eine "Nachschaupflicht" bei sämtlichen Lieferanten überall auf der Welt trifft, nur weil diese ein kleines Rädchen der eigenen Lieferkette bilden. Unmögliches kann – wie gesagt – schlicht nicht geschuldet werden.
- Wie müssen meine Verträge mit Lieferanten zukünftig aussehen?
Das deutsche Gesetz und der EU-Entwurf sehen ähnliche Eskalationsmechanismen vor. Es reicht nicht, dass die Lieferantenverträge Regeln beinhalten, wonach der Lieferant bestimmte Umwelt- und Menschenrechte bei seiner Geschäftstätigkeit einhalten muss. Flankierend dazu braucht es auch effektive Mechanismen, um die Einhaltung dieser Rechte überwachen und im Fall von Verstößen Abhilfe verlangen zu können.
Fraglich ist, ob das auch bedeutet, dass als ultima ratio ein ausdrückliches außerordentliches Kündigungsrecht eingeräumt werden muss. Der EU-Entwurf deutet etwas in diese Richtung an. Hier wird die weitere Entwicklung auf europäischer Ebene abzuwarten sein.
- Wo soll ich als österreichisches Unternehmen heute beginnen?
Am besten bei der eigenen Geschäftstätigkeit: Top down. Entwerfen Sie eine Lieferketten-Policy, die regelt, worauf Sie bei Ihrer eigenen Geschäftstätigkeit achten, um kein Risiko für Umwelt- und Menschenrechte zu sein und worauf Sie bei Lieferanten achten, damit diese kein solches Risiko sind.
Die Informationen für eine solche Policy liegen nach unserer Erfahrung in vielen Unternehmen schon vor und geeignete Regeln werden teilweise schon gelebt. Die Aufgabe ist es nun, diese in einem Dokument zu bündeln.
Die Policy sollte am besten bereits wirksame Überwachungs- und Abhilfemaßnahmen beinhalten. Außerdem sollten Kennzahlen vorgesehen werden, an denen der Fortschritt des Unternehmens am Weg zur nachhaltigen Lieferkette gemessen werden kann.
Ausgehend von dieser Policy sollten die bisherigen Lieferantenverträge darauf hin untersucht werden, ob diese den Anforderungen der Policy genügen oder ob Bedarf zur Nachverhandlung besteht. Wichtig ist es zuletzt, die Mitarbeiter zu schulen und ein entsprechendes Problembewusstsein zu schaffen. Und natürlich wie immer: die Kontrolle – jede Policy ist so gut, wie sie gelebt und eingehalten wird. Dazu braucht es wirksame Kontrollen!
Die Lieferkettenregeln stehen rechtlich noch ganz am Anfang. Bereits heute ist der Beratungsbedarf aus unserer Erfahrung aber sehr hoch, weil es sich dabei um eine ganz neue Qualität und Quantität des Eingriffs in die Geschäftstätigkeit von praktisch allen Unternehmen handelt – egal ob als großes Unternehmen unmittelbar erfasst oder als KMU "nur" mittelbar als Lieferant von großen Unternehmen betroffen. Wir unterstützen Sie dabei weiterhin sehr gerne.