Gute Neuigkeiten in Krisenzeiten: Der mit Spannung erwartete Entwurf des Restrukturierungs- und Insolvenz-Richtlinie-Umsetzungsgesetzes (RIRL-UG) wurde gestern veröffentlicht. Das Gesetz, mit welchem die Richtlinie (EU) 2019/1023 (Restrukturierungs-RL) in Österreich umgesetzt wird, soll am 17.7.2021 (zum Ende der Umsetzungsfrist) in Kraft treten. Die Begutachtungsphase läuft noch bis 6.4.2021.
Gerade vor dem Hintergrund der voraussichtlich noch andauernden Corona-Pandemie kommt der Gesetzesentwurf spät, aber hoffentlich noch rechtzeitig – insbesondere für jene Unternehmen, die sich (spätestens bei Wegfall der derzeit bestehenden insolvenzrechtlichen Erleichterungen und Stundungsmöglichkeiten) in finanzieller Schieflage befinden. Deren Anzahl, so wird allerseits erwartet, wird im zweiten Halbjahr 2021 deutlich ansteigen.
Herzstück des Entwurfs ist die neue Restrukturierungsordnung (ReO), die ein gerichtliches Restrukturierungsverfahren für Unternehmer vorsieht – und zwar sowohl für juristische als auch natürliche Personen, die ein Unternehmen betreiben. Ziel ist es, frühzeitig (!) eine präventive Restrukturierung von Unternehmern über einen Restrukturierungsplan zu ermöglichen, um eine Insolvenz zu vermeiden. Geplant ist überraschenderweise, dass die ReO neben das URG (das in der Praxis de facto nicht in Anspruch genommen wird) treten soll (anstatt sinnvollerweise das URG aufzuheben).
Insbesondere das vorgesehene vereinfachte Restrukturierungsverfahren könnte künftig in der Praxis eine wichtige Rolle spielen, um Finanzverbindlichkeiten sicher, rasch und auch gegen den Willen einzelner Gläubiger (derzeit ist dafür eine 100 % Gläubigerzustimmung nötig) zu restrukturieren. Ob die weiteren vorgesehenen Restrukturierungstools in der Praxis jedoch ausreichend sein werden, um tatsächlich für Unternehmen eine attraktive Alternative zum Reorganisationsverfahren nach URG bzw – in der Praxis relevanter – zum gerichtlichen Sanierungsverfahren darzustellen, bleibt abzuwarten. Auf Basis des vorliegenden Entwurfs ist das aber zweifelhaft, insbesondere, weil der in der Richtlinie vorgesehene Gestaltungsspielraum in relevanten Punkten (insbesondere hinsichtlich einer zwingenden Einbeziehung der Anteilseigner) nicht voll ausgeschöpft wurde und noch nicht absehbar ist, wie teuer ein solches Restrukturierungsverfahren für den Schuldner tatsächlich sein wird.
Die wichtigsten Neuerungen im Überblick:
A. Neue Restrukturierungsmöglichkeiten für Unternehmen
1. Das Restrukturierungsverfahren nach der ReO
Die ReO sieht ein gerichtliches, aber grds nicht öffentliches Restrukturierungsverfahren mit Eigenverwaltung vor, wodurch eine befürchtete Stigmatisierung des Schuldners hintangehalten werden soll. Der wesentliche Unterschied zum (schon bisher möglichen) außergerichtlichen Ausgleich besteht darin, dass nicht mehr zwingend die Zustimmung aller Gläubiger erforderlich ist, sondern die Zustimmung einer qualifizierten Gläubigermehrheit (Kopfmehrheit und mind 75 % Summenmehrheit) pro Gläubigerklasse bei gerichtlicher Bestätigung ausreicht. Unter gewissen Umständen kann die fehlende Zustimmung einzelner Gläubigerklassen auch durch eine gerichtliche Bestätigung ersetzt werden.
1.1 Restrukturierung von Unternehmen / erfasste Schuldner
Das Restrukturierungsverfahren nach der ReO steht neben juristischen Personen auch natürlichen Personen, die ein Unternehmen betreiben, offen (zur befristeten COVID-Sonderregelung für die Entschuldung aller anderen natürlichen Personen siehe Punkt B.). Nicht erfasst werden Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungssektor.
1.2 Ausgenommene Forderungen
Ausgenommen vom neuen präventiven Restrukturierungsverfahren sind nach dem derzeitigen Entwurf insbesondere bestehende und künftige Forderungen derzeitiger oder ehemaliger Arbeitnehmer sowie nach Einleitung des Restrukturierungsverfahrens entstehende Forderungen. Es ist somit keine für das Unternehmen "günstige" Sanierung des operativen Betriebs im Restrukturierungsverfahren möglich, sondern nur eine Restrukturierung der bereits bestehenden Verbindlichkeiten.
1.3 Das Restrukturierungsverfahren
Voraussetzungen für die Einleitung eines Restrukturierungsverfahren
- Antrag des Schuldners
- Vorliegen einer "wahrscheinlichen Insolvenz" des Schuldners (insb bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder bei einer Eigenmittelquote unter 8% und eine fiktive Schuldentilgungsdauer von über 15 Jahren) und
- Die laufenden Zahlungen können in den nächsten 90 Tagen geleistet werden (keine Zahlungsunfähigkeit)
Ein Restrukturierungsverfahren ist insb dann nicht einzuleiten, wenn
- der Restrukturierungsplan- oder das Restrukturierungskonzept offenbar untauglich oder der Antrag missbräuchlich ist (zB weil keine wahrscheinliche Insolvenz vorliegt oder sich aus Exekutionsdaten die Zahlungsunfähigkeit offenkundig ergibt),
- bereits ein Restrukturierungs- oder Sanierungsverfahren in den letzten 7 Jahren eingeleitet wurde oder
- die Organe Bilanzfälschung begangen haben.
Verfügungsbeschränkungen
- Schuldner behält ganz oder teilweise die Eigenverwaltung
- Das Gericht kann bestimmte Rechtshandlungen verbieten oder von der Zustimmung des Gerichts oder – in der Praxis wohl der Regelfall – des Restrukturierungsbeauftragten abhängig machen (Beschränkungen dürfen nicht so weit gehen wie im Konkursverfahren)
Restrukturierungsplan, Abstimmung und Bestätigung
- Zwingende Vorlage eines Restrukturierungskonzepts bei Antragstellung; innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden Frist von max 60 Tagen Vorlage eines Restrukturierungsplans; sinnvollerweise wird der Restrukturierungsplan sofort vorgelegt
- Schuldner hat die Wahl welche Gläubiger/Forderungen in Plan einbezogen werden (sachliche Rechtfertigung bei Nichteinbeziehung erforderlich); einbezogene Gläubiger stimmen über Plan ab
- Betroffene Gläubiger sind verpflichtend (optional bei KMUs) in max fünf Gläubigerklassen – (i) besicherte (Pfand- und ähnliche Rechte), (ii) unbesicherte, (iii) Anleihe-, (iv) schutzwürdige sowie (v) nachrangige Gläubiger – einzuteilen.
- Abstimmung über Restrukturierungsplan in Restrukturierungsplantagsatzung (auch virtuell möglich) innerhalb von 30-60 Tagen (Vorabübermittlung des Plans an betroffene Gläubiger mind zwei Wochen vor Abstimmung); notwendige Mehrheiten: Doppelte Mehrheit pro Gläubigerklasse:
- Kopfmehrheit (> 50 %) und
- Summenmehrheit (mind 75 %) der Forderungen der bei der Abstimmung anwesenden Gläubiger
- Gleichbehandlungsgebot der Gläubiger in derselben Klasse
- Klassenübergreifenden Cram-down möglich: Gericht kann Restrukturierungsplan selbst dann bestätigen, wenn dieser von einer oder mehreren (!) Klassen abgelehnt wird; Voraussetzung:
- Formalitäten eingehalten
- Ablehnende Gläubigerklassen werden gleichgestellt wie gleichrangige Klassen und bessergestellt als nachrangige Klassen (relative priority rule)
- Keine Klasse erhält mehr als den vollen Betrag ihrer Forderung
- Mehrheit der Klassen inklusive der Klasse der besicherten Gläubiger stimmt dafür ODER Mehrheit der Gläubigerklassen, die in einem Insolvenzverfahren wahrscheinlich eine Quote erhalten würden, stimmt zu.
- Ablehnende Gläubiger können Überprüfung der Einhaltung des Gläubigerinteresses beantragen (Prüfung, dass Gläubiger durch Restrukturierungsplan nicht schlechter gestellt wird als in fiktivem Insolvenzverfahren)
- Gegen Bestätigung des Restrukturierungsplans kann von ablehnenden betroffenen Gläubigern Rekurs erhoben werden; grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, die aber zuerkannt werden kann, es sei denn eine entsprechende Sicherheit wird bei Gericht erlegt
Keine zwingende Einbindung von Anteilsinhaber – Debt Equity Swap gegen deren Willen nicht durchsetzbar
- Keine zwingende Einbeziehung der Anteilsinhaber (zB Gesellschafter/Aktionäre) in den Restrukturierungsplan vorgesehen; Debt Equity Swap nicht gegen den Willen der Anteilseigner durchsetzbar (dies ist in der RL optional vorgesehen und ist in vielen Ländern üblich)
- Obstruktionsverbot: Anteilsinhaber dürfen Annahme, Bestätigung und Umsetzung des Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren; Gericht kann ggf gesellschaftsrechtlich erforderliche Zustimmung durch Beschluss ersetzen
Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten
- Möglich zur Unterstützung des Schuldners und der Gläubiger bei Aushandlung und Ausarbeitung des Restrukturierungsplans, wenn
- das Gericht eine Vollstreckungssperre anordnet und ein solcher Beauftragter zu Wahrung der Interessen der Parteien erforderlich ist;
- die Bestätigung des Restrukturierungsplans eines klassenübergreifenden Cram-down bedarf oder
- der Schuldner oder die Mehrheit der Gläubiger dies beantragt.
- Wenn Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (zB Verletzung von Mitwirkungs- oder Auskunftspflichten durch Schuldner)
- Entlohnung vom Restrukturierungsbeauftragten wird durch Gericht festgesetzt und ist vom Schuldner zu tragen
Option: Vollstreckungssperre
- Das Gericht kann auf Antrag des Schuldners eine Vollstreckungssperre anordnen, um die Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan zu unterstützen. Relevant ist dies vor allem bei Steuer- und Abgabenschulden, die ja idR sofort exekutierbar sind.
- Diese kann sich auf Forderungen eines Gläubigers oder mehrerer Gläubiger oder Gläubigerklassen erstrecken und darf drei Monate nicht überschreiten; auf Antrag kann sie jedoch auf max sechs Monate verlängert werden.
- Achtung: keine Prozesssperre bzw Stundung von Forderungen im Entwurf vorgesehen
Auswirkungen der Vollstreckungssperre auf den Eintritt der Insolvenz
- Die Insolvenzantragspflicht des Schuldners wegen Überschuldung ruht (kein Gläubigerantrag aus diesem Grund möglich; Entfall der an die Überschuldung anknüpfenden Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung/Verstoß gegen das Zahlungsverbot)
- Ein Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit ist nur dann nicht zu eröffnen, wenn dies im allgemeinen Interesse der Gläubiger ist
Auswirkungen der Vollstreckungssperre und des Restrukturierungsverfahrens auf Verträge
- Vertragsauflösungssperre für unternehmensrelevante Verträge (zB Miet-, und Lizenzverträge, langfristige Lieferverträge), Leistungsverweigerungs- und Vertragsanpassungsverbot durch Gläubiger; gilt nur für Gläubiger, die von Vollstreckungssperre umfasst sind und nur hinsichtlich vor der Sperre entstandene Forderungen
- Unzulässigkeit vertraglich vereinbarter Kündigungsgründe im Fall oder im Zusammenhang mit einem Restrukturierungsverfahren unabhängig davon, ob der Schuldner seine Verpflichtung erfüllt (ipso-facto-Klauseln) sowie wegen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse (MAC-Klauseln)
- Ziel: Ermöglichung der Unternehmensfortführung
- Beschränkungen gelten nicht für Ansprüche des Schuldners auf Auszahlung von Krediten (Kreditgeber hat weiterhin Kündigungsrecht aus wichtigem Grund bzw wegen Vermögensverschlechterung; Ziel: Vermeidung des Abrufs offener Kreditlinien durch Schuldner)
1.4 Das vereinfachte Restrukturierungsverfahren
Große praktische Bedeutung könnte das vereinfachte Restrukturierungsverfahren für eine rasche und sichere Restrukturierung "lediglich" der Finanzverbindlichkeiten erlangen, für den Fall, dass nicht 100 % der Gläubiger einem außergerichtlichen Ausgleich zustimmen. Das Gericht hat in diesem Fall über die Bestätigung des Restrukturierungsplans zu entscheiden, ohne ein Restrukturierungsverfahren einzuleiten. Dieses vereinfachte Verfahren kann der Schuldner beantragen, wenn nur Finanzgläubiger betroffen sind und eine Mehrheit von mindestens 75 % der Gläubiger an Kapital in jeder Gläubigerklasse dem Restrukturierungsplan zugestimmt hat. Der Begriff der Finanzgläubiger ist weit zu verstehen; umfasst sind sämtliche Forderungen mit Finanzierungscharakter. Im Wesentlichen soll damit die bisher bestehende faktische Verhandlungsmacht des "hold out" hintangehalten werden.
1.5 Europäisches Restrukturierungsverfahren
Auf Antrag des Schuldners hat das Gericht die Einleitung des Restrukturierungsverfahrens im Edikt öffentlich bekannt zu machen (Europäisches Restrukturierungsverfahren). Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass eine Vollstreckungssperre alle Gläubiger umfassen kann (sog allgemeine Vollstreckungssperre) und das Verfahren in den Anwendungsbereich der EuInsVO fällt, wodurch die grenzüberschreitende Anerkennung der Restrukturierungsverfahren ermöglicht wird.
2. Wesentliche Änderungen in der IO: Schutz für Neu- und Zwischenfinanzierung und sonstige Transaktionen im Zusammenhang mit der Restrukturierung
Restrukturierungsmaßnahmen sollen erleichtert werden, indem neue Finanzierungen, Zwischenfinanzierungen und sonstigen Transaktionen im Zusammenhang mit der Restrukturierung bei späterer Eröffnung eines Insolvenzverfahrens weitestgehend anfechtungsgeschützt sind. Neue Finanzierungen, die in einem bestätigten Restrukturierungsplan enthalten sind, und Zwischenfinanzierungen, die vom Gericht genehmigt wurden, sind nicht nach § 31 Abs 1 Z 3 IO als nachteiliges Rechtsgeschäft wegen Überschuldung anfechtbar.
Weiters ist ein Katalog von geschützten Transaktionen vorgesehen, denen Anfechtungsschutz zukommen soll, wenn sie angemessen und für die Aushandlung eines Restrukturierungsplans unmittelbar notwendig sind und nach Bewilligung der Vollstreckungssperre geleistet wurden (zB Zahlung von Gebühren und Kosten für die Inanspruchnahme professioneller Beratung in engem Zusammenhang mit der Restrukturierung oder die Zahlung von Arbeitnehmerlöhnen für bereits geleistete Arbeit). Der Anfechtungsschutz gilt nur, wenn der Plan vom Gericht bestätigt wurde oder wenn solche Transaktionen vom Gericht genehmigt wurden.
Weiters sieht der Entwurf vor, dass Anfechtungsfristen, vom Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu berechnen sind, um die Dauer einer während des Restrukturierungsverfahrens bestehenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung verlängert werden. Dadurch soll Missbrauch durch ein Hinausschieben des Insolvenzverfahrens und einem damit verbundenen Fristablauf verhindert werden.
B. Neuerungen für die Entschuldung natürlicher Personen
Aufgrund der andauernden Corona-Pandemie und den einhergehenden wirtschaftlichen Auswirkungen sieht der Gesetzesentwurf vor, dass redlichen Verbrauchern die Möglichkeit eröffnet wird, sich nach drei Jahren zu entschulden. Dies soll zeitlich befristet für die nächsten fünf Jahre gelten. Dazu soll neben das derzeitige fünfjährige Abschöpfungsverfahren ein verkürztes Abschöpfungsverfahren (Tilgungsplan) treten.