Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der Rechtssache Polbud (Rs C106/16) einen weiteren Meilenstein zugunsten der innereuropäischen Mobilität von Gesellschaften gesetzt und seine Judikaturlinie zur Niederlassungsfreiheit konkre tisiert: Der EuGH lässt die reine Satzungssitzverlegung zu – also die Umwandlung in eine ausländische Rechtsform, ohne auch die Verwaltung oder die wirtschaftliche Tätigkeit in den Zuzugsstaat zu verlegen.
Sachverhalt
Anlassfall der Entscheidung war die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes der polnischen Gesellschaft "Polbud" nach Luxemburg und die damit bewirkte Umwandlung von Polbud von einer polnischen in eine luxemburgische Gesellschaft. Die Besonderheit bzw das Neue war, dass die polnische Gesellschaft nur ihren Satzungssitz und nicht auch ihren Verwaltungssitz und/oder ihre wirtschaftliche Tätigkeit nach Luxemburg verlegen wollte.
Im luxemburgischen Handelsregister wurde die gewünschte Satzungssitzverlegung eingetragen, das polnische Handelsregister verweigerte aber die beantragte Löschung der Gesellschaft aus dem Handelsregister.
Der EuGH führte dazu aus, dass die Niederlassungsfreiheit den grenzüberschreitenden Formwechsel auch dann umfasst, wenn nur der satzungsmäßige Sitz verlegt werde. Eine Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Aufnahmestaat sei nicht erforderlich. Auch die Liquidation der Gesellschaft im Wegzugsstaat dürfe nicht verlangt werden. Dem EuGH zufolge ist eine Sitzverlegung auch nicht allein deswegen rechtsmissbräuchlich, wenn sie lediglich durchgeführt wird, um in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften im Aufnahmestaat zu gelangen.
Auswirkungen auf die Praxis
Die Zulässigkeit einer isolierten Satzungssitzverlegung richtet sich – auch nach der Polbud-Entscheidung – nach dem natio- nalen Recht des Aufnahmestaats. Die österreichischen Gerichte können daher bei einem „Umzug“ nach Österreich neben der Verlegung des Satzungssitzes auch die gleichzeitige Verlegung des Verwaltungssitzes der Gesellschaft, dh des Ortes, von dem aus die Geschäftsleitung der Gesellschaft ausgeübt wird, verlangen.
Für „umziehende“ österreichische Gesellschaften ergibt sich durch die Polbud-Entscheidung die Möglichkeit einer wesentlich vereinfachten Umwandlung in eine ausländische Rechtsform, die gegenüber einer grenzüberschreitenden Verschmelzung die Vorteile bietet, dass kein Wechsel oder Untergang der Rechtspersönlichkeit stattfindet und keine Vermögensübertragung erforderlich ist.
Allerdings ist die Verlegung des Sitzes rechtlich weder auf europäischer noch auf österreichischer Ebene geregelt. Auf europäischer Ebene existiert ein Vorschlag für eine Richtlinie vom 25.4.2018, mit dem die aufgrund der Polbud-Entscheidung erforderlichen Verfahrensvorschriften geregelt werden sollen. Mit einem zeitnahen Inkrafttreten ist allerdings nicht zu rechnen.
Bis dahin muss eine grenzüberschreitende Sitzverlegung mit dem jeweils zuständigen Firmenbuchgericht abgestimmt werden. Dabei ist in der Praxis ein Verfahren einzuhalten, das sich vor allem an den Regelungen über die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft und an dem EU-VerschG, in dem die grenzüberschreitende Verschmelzung normiert ist, orientiert. Demnach sind insbesondere folgende Schritte erforderlich:
- Aufstellung eines Verlegungsplans durch die Geschäftsführung sowie Veröffentlichung des Verlegungsplans samt Hinweis auf die Rechte der Gläubiger.
- Erstellung eines Verlegungsberichtes durch die Geschäftsführung.
- Allenfalls Prüfung des Verlegungsvorganges durch einen Sachverständigen.
- Gesellschafterbeschluss über die Sitzverlegung.
- Anmeldung der beabsichtigten „Export“- Sitzverlegung beim Firmenbuch.
- Anmeldung der Durchführung der Sitzverlegung und Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch nach erfolgter Eintragung der Sitzverlegung im Zielstaat.