Am 14. Jänner 2019 wurde die Richtlinie (EU) 2019/1 (die ”ECN+ Richtlinie“) kundgemacht. Sie soll eine wirksamere Durch-setzung der europäischen Wettbewerbsregeln sicherstellen. Für die Umsetzung haben die Mitgliedstaaten bis 4. Februar 2021 Zeit. In Österreich könnte dies eine Chance bieten, die Rechtsschutzlücke bei Hausdurchsuchungen zu schließen.
Innerhalb der EU sind wettbewerbswidrige Verhaltensweisen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene verboten. Die entsprechenden Verbotsnormen (Art 101f AEUV bzw §§ 1f und 4f KartG) sind inhaltlich weitgehend harmonisiert. Nach dem Grundsatz der parallelen Anwendung sind nationale Wettbewerbsbehörden ferner verpflichtet, neben nationalem Kartellrecht auch die europäischen Bestimmungen auf Verhalten anzuwenden, das den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann.
Der bestehende, durch die Verordnung 1/2003 geprägte Rechtsrahmen sieht bereits Prinzipien für die Fallallokation und den Informationsaustausch zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden und der Europäischen Kommission vor. Die nationalen Institutionen und das Verfahrensrecht, welches nationale Wettbewerbsbehörden bei der Durchsetzung der europäischen Wettbewerbsregeln anwenden, waren bislang hingegen kaum harmonisiert.
In einem seit 2014 andauernden Evaluierungsprozess gelangte die Kommission zum Ergebnis, dass nationale Regelungen in manchen Mitgliedstaaten die wirksame Durchsetzung von Art 101f AEUV beeinträchtigen. Diesen Bedenken soll die ECN+ Richtlinie entgegenwirken und so zur vollen Wirksamkeit der europäischen Wettbewerbsregeln beitragen.
Umsetzungsbedarf in Österreich
Nach verbreiteter Auffassung entspricht das österreichische Kartellrecht bereits bisher weitgehend der angestrebten Mindest-harmonisierung, sodass sich der Änderungsbedarf in Grenzen halten dürfte. Ins - besondere verfügen die Bundeswettbewerbsbehörde und das Kartellgericht im Wesentlichen schon heute über Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnisse, die der Richtlinie entsprechen.
Eine Änderung dürfte sich aber hinsichtlich der Annahme von Verpflichtungszusagen ergeben. In Österreich ist umstritten, ob das Kartellgericht das Vorliegen eines Verstoßes feststellen muss, bevor es Verpflichtungs-zusagen für verbindlich erklärt. In einer jüngeren Entscheidung erachtete das Kartellgericht entgegen der herrschenden Lehre eine solche Feststellung als nicht erforderlich. Die ECN+ Richtlinie sorgt hier für Klarheit: Wie bei der Annahme von Verpflichtungszusagen durch die Europäische Kommission werden auch in Österreich künftig ”Bedenken“ des Kartellgerichts ausreichen. Der Feststellung eines tatsächlichen Verstoßes bedarf es hingegen nicht. Dies kann es Unternehmen erleichtern, Verpflichtungszusagen anzubieten, da das Risiko negativer Folgen – wie eines Reputationsschadens oder etwaiger Schadenersatzforderungen – abgeschwächt wird.
Auch die Sanktionen des österreichischen Rechts dürften weitgehend mit der Richtlinie in Einklang stehen. Eine Änderung wird jedoch hinsichtlich der Bebußung von Unternehmensvereinigungen erforderlich. Deren Buße ist zwar anhand der Marktumsätze der Mitglieder zu bemessen (§ 31 KartG). Eine Ausfallshaftung der Mitglieder für die über die Vereinigung verhängte Buße, wie sie auf EU-Ebene besteht, fehlt jedoch bislang. Nach Art 14 der ECN+ Richtlinie wird eine solche Ausfallshaftung nun auch im österreichischen Recht erforderlich.
Während die meisten Bestimmungen der Richtlinie auf eine Stärkung der Befugnisse der Wettbewerbsbehörden abzielen, verpflichtet Art 3 der ECN+ Richtlinie die Mitgliedstaaten, bei Ermittlungen von Zu-widerhandlungen gegen Art 101f AEUV die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und die Grundrechtecharta der Europäischen Union einzuhalten. Hierzu gehört auch das Recht der Unternehmen auf einen wirksamen Rechtsbehelf.
Bei Hausdurchsuchungen steht ein solcher Rechtsbehelf seit der Kartellrechts-Novelle 2012 jedoch nicht mehr zur Verfügung. Diese schaffte das Recht, strittige Unterlagen dem Kartellgericht versiegelt vorzulegen, weitgehend ab. Seither besteht abgesehen von Maßnahmenexzessen keine Möglichkeit mehr, gegen das Kopieren nicht vom Untersuchungsgegenstand umfasster Unterlagen vorzugehen. Diese Rechtslage stand schon bisher in einem Spannungsverhältnis zum Vinci-Urteil des EGMR. Ob die Anordnung in der Richtlinie hier zu einer Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten führen wird, bleibt abzuwarten.