Heute ist die lang erwartete Entscheidung des EuGH zur Frage der Zulässigkeit der seit Jahren bereits heiß diskutierten Vorratsdatenspeicherung zu den Verfahren C-623/17, C-511/18, C-512/18 und C-520/18 ergangen. Zwar hat der EuGH die bisherige Linie, dass eine flächendeckende, pauschale Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungsdaten unzulässig ist, beibehalten – schließlich ist daran schon im Jahr 2014 die Vorratsdaten-Richtlinie (RL 2006/24/EG) gescheitert. Der EuGH sprach in der heutigen Entscheidung allerdings kein absolutes Verbot von Speichervorschriften aus. Vielmehr hält er auf Basis des Art 15 der durch den damaligen Fall der Vorratsdaten-Richtlinie wieder aufgelebten Datenschutzrichtlinie für Kommunikation (RL 2002/58/EG) fest, unter welchen Umständen eine Vorratsdatenspeicherung zukünftig zulässig sein kann. Die DORDA Datenschutzexperten haben die wichtigsten Erkenntnisse für Sie zusammengefasst:
Historie und Ausgangslage
Die Diskussion zur Vorratsdatenspeicherung hat in Österreich bereits vor knapp 15 Jahren zur Umsetzung der Vorratsdaten-Richtlinie (RL 2006/24/EG) begonnen. Die Mitgliedsstaaten hatten auf dieser Basis sicherzustellen, dass Betreiber öffentlicher Kommunikationsnetze bzw Anbieter von öffentlichen Kommunikationsnetzen ohne Anlass aber auch ohne jegliches Widerspruchsrecht der Betroffenen Standort- und Verkehrsdaten auf Vorrat speichern. Anhand der gesammelten Daten sollten gezielte Ermittlungen mit aussagekräftigen Profilen möglich werden. Das löste freilich Widerspruch wegen großflächigen Grundrechtseingriffen aus.
Die österreichische Umsetzung der Vorratsdaten-Richtlinie aus 2006 erfolgte aufgrund der rechtlichen Bedenken erst mit einer rund viereinhalbjährigen Verspätung. Nur zwei Jahre nach Implementierung der neuen Bestimmungen im TKG, StPO und SPG wurde schließlich die zugrundeliegende Vorratsdaten-Richtlinie vom EuGH unter anderem aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des österreichischen VfGH zur Gänze gekippt. In weiterer Folge wurde auch die diesbezügliche österreichische Regelung im Sommer 2014 wieder aufgehoben.
Seit damals ist die Diskussion um eine potentielle Neufassung der Richtlinie und unterschiedliche Bestrebungen einzelner Mitgliedsstaaten zur Implementierung rein nationaler Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung beinahe jährlich neu entflammt. Diverse Vorstöße einzelner Länder sind dabei stets am EuGH gescheitert, der seiner Linie treu geblieben ist: Eine umfassende und anlasslose Datenspeicherung ist mit dem Unionsrecht unvereinbar. Aufgrund des zunehmenden Bedarfs an effektiven Maßnahmen zur Bekämpfung von (steigender Cyber-)Kriminalität und Terrorismus gab es zuletzt ein stärkeres Bestreben einzelner Mitgliedstaaten zur Wiedereinführung vergleichbarer Maßnahmen. Diese mündeten schließlich in weiteren Vorabentscheidungsersuchen, die zu dem heute veröffentlichten Urteil des EuGH führten:
Aktuelle Entscheidung des EuGH
In seiner Entscheidung hat der EuGH im Gleichklang mit den bisherigen Erkenntnissen festgehalten, dass Art 15 der Richtlinie zur elektronischen Kommunikation (RL 2002/58/EG) nationalen Bestimmungen entgegensteht, die eine Verpflichtung zur anlass- und unterschiedslosen Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten zu Zwecken der Bekämpfung der Kriminalität bzw zum Schutz der nationalen Sicherheit vorsehen. Der EuGH hat jedoch diesmal im Detail Ausnahmefälle aus der schon 18 Jahre alten Ursprungsbestimmung zur Vorratsdatenspeicherung abgeleitet und ausgearbeitet:
Bei ernsthafter Bedrohung der nationalen Sicherheit, die sich als tatsächliche und gegenwärtige sowie vorhersehbare Gefahr erweist, kann die allgemeine und unterschiedslose Aufbewahrung von Standort- und Verkehrsdaten auch ohne konkrete Vorratsdaten-Richtlinie zulässig sein. Dies muss aber während eines bestimmten für die Zielerreichung absolut notwendigen Zeitraums und im angemessenen Rahmen erfolgen. Dazu muss jedoch eine Datenspeicherung über die normalen gesetzlichen Fristen hinaus in nationalen Gesetzen verankert werden. Zur Wahrung der (Grund-)Rechte und Freiheiten der Betroffen muss zudem eine detaillierte Interessensabwägung durchgeführt werden. Daraus ergibt sich der Bedarf an wirksamen gesetzlich verankerten Schutzmaßnahmen und der Möglichkeit der Überprüfung durch ein Gericht oder eine unabhängige Behörde. In Grenzfällen kann eine Vorratsdatenspeicherung somit auch an eine gerichtliche oder behördliche Anordnung geknüpft sein. Ebenso steht es den Mitgliedstaaten offen, eine Vorratsspeicherung von IP-Adressen vorzunehmen, die der Quelle einer Kommunikation zugeordnet sind, sofern auch dies nur im unbedingt notwendigen Maß erfolgt und unter der Wahrung der (Grund-) Rechte und Freiheiten erfolgt.
In den der Entscheidung zugrundeliegenden nationalen Bestimmungen wurden die Rechte der Betroffenen als nicht ausreichend gewahrt gewertet. Diese sahen insbesondere eine umfassende Speicherung der Daten und Zusammenführung mit weiteren Quellen vor – dies jedoch ohne Informationspflichten an die Betroffenen und ohne die Implementierung geeigneter Rechtsbehelfe. Aus diesem Grund sprach der EuGH diese konkreten Bestimmungen als nicht mit dem Art 15 der RL 2002/58/EG vereinbar aus.
Fazit und Ausblick
Der EuGH hat, wie schon zuletzt in Schrems II rund um die Frage der Zulässigkeit von Datentransfers in die USA, kein per-se-Verbot für Vorratsdatenspeicherungen ausgesprochen, sondern eine detaillierte Interessensabwägung vorgenommen und Möglichkeiten einer rechtskonformen Umsetzung unter Wahrung der Grundrechte skizziert. Die neue Entscheidung gibt den Mitgliedsstaaten somit das Rüstzeug an die Hand, neue nationale Bestimmungen zur Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten zu schaffen. Ob und wann der österreichische Gesetzgeber reagiert und einen neuen Versuch einer ausgewogenen Umsetzung startet, bleibt mit Spannung abzuwarten.